Den Begriff „Rapid-Prototyping“ kennt ihr vielleicht aus der Industrie oder der Software-Entwicklung. Je schneller die Zeit tickt, desto rapider müssen Prototypen erstellt werden – egal, in welchem Bereich. Seien es 3-D-gedruckte Formen oder Oberflächen, die bedient werden wollen. Wie und warum Rapid Prototyping sich auf die Umsetzungsgeschwindigkeit von digitalen Projekten auswirkt, beschreibe ich in diesem Artikel.
Gerade mobile Apps und Web-Applikationen sollen für Nutzer intuitiv, selbsterklärend und übersichtlich sein, denn unsere Aufmerksamkeitsspanne ist und bleibt begrenzt – die Interaktionen mit Geräten werden immer kürzer, Geräte kleiner, die Welt lauter und voller.
Häufig wurde ein „Prototyp“ mit einem Machbarkeitstest verglichen. Die Technik sollte etwas implementieren, damit die Idee überhaupt eine Form bekommt, benutzbar (usable) wird. Doch Programmierung ist teuer und heute nicht der einzige Weg, um etwas Essenzielles herauszufinden. Das Rapid Frontend-Prototyping ist eine wunderbare, günstigere Alternative, um eine Idee zu testen und anzufühlen, bevor die kostspielige Schleife der Programmierung beginnt. Es gibt noch andere Vorteile.
Grund Nummer 1: Eine diffuse digitale Idee wird endlich anfassbar und man verlässt die endlosen Diskussionen zu etwas Konkretem
Zuallererst ist ein Frontend-Prototyp eine sichtbare Motivation für alle Beteiligten im Team. Für den Kunden, für euch, für eure Entwickler und für das Marketing. Alle Seiten können schon etwas anklicken, bekommen ein Gefühl für das Produkt und ganz offensichtlich ein Bild davon. Genau darum geht’s. Der Prototyp ist die erste Version eures Produkts – sei sie auch noch so einfach und flach. Ab da habt ihr das Produkt anfassbar – nicht nur im Kopf – und müsst es „nur“ noch verbessern.
Ein Prototyp macht eine Idee realistisch und für das gesamte Team sowie den Kunden zum ersten Mal benutzbar. Somit dient er als konkrete Diskussionsgrundlage und verlässt das Feld der Annahmen, Idee-Bubbles und idealisierter Wunschvorstellungen.
Grund Nummer 2: Ein Prototyp kann getestet werden
Der Prototyp kann euer Tool für Nutzertests werden. Ihr testet mit dem klickbaren, schlicht gestalteten Prototyp den Navigationsfluss, die Verständlichkeit und den Kontext (das ist ein Button, aha, darauf steht „Bestellen“, okay) und ob der Use-Case der Applikation gut herausgearbeitet wurde.
Ihr testet das Konzept. Die toll designte Optik verfeinert ihr später, viel später. Tipp: Trotzdem sollte der Prototyp nicht ranzig, liederlich oder hingerotzt aussehen. Das ist mit den meisten Tools und deren unzähligen Vorlagen (Templates) heutzutage kein Problem. Weiter unten stelle ich einige Methoden und Tools vor, mit denen ihr schnell zum Prototyp kommt.
Grund Nummer 3: Redet nicht so viel, zeigt es denen, die es technisch umsetzen werden
Mit einem Prototyp müsst ihr Programmierern oder dem Dev-Team nicht mehr so viel erklären. Ihr erinnert euch daran, dass nur ihr in eurem Kopf sitzt und euer Gegenüber völlig unterschiedliche Vorstellungen haben kann, von dem was ihr euch vorstellt.
Euer Programmier-Team kann den Prototypen anklicken und wird gut verstehen, was sich hinter der Applikation und jedem einzelnen Screen verbirgt. Der Prototyp ist wie das zum Leben erwachte Pflichtenheft – jedenfalls von den bedien- und sichtbaren Anforderungen.
Grund Nummer 4: Ein Prototyp ermöglicht Feedback und damit auch Projekt-Frieden
Ein Prototyp hat, wenn man sich als UX DesignerIn gut anstellt und den Prozess richtig begleitet, eine ganz magische Wirkung auf den Projektfrieden. Das ist vermutlich eine völlig unterschätzte, weil vielleicht noch gar nicht bewusste, Eigenschaft.
Wie? Ihr kennt es sicher aus Entwürfen. Sobald Menschen etwas sehen, müssen sie es kommentieren. Menschen haben einfach dieses Geltungsbedürfnis, dieses Mitteilungsbedürfnis und geben Feedback, gern ungefragt. Drehen wir hier also die Sache um. Als UX Designer erschaffen wir den Prototypen, damit er kommentiert wird. Und nicht nur zu seinem Wohle und der Tatsache, dass andere Menschen tatsächlich Aspekte einbringen könnten, an die wir nicht gedacht haben. Sondern um die Saboteure im Projekt rechtzeitig kennen zu lernen und ihnen die Möglichkeit zu geben, gehört zu werden.
In nahezu allen Projekten, die ich begleitet habe, gibt es mindestens einen Saboteur. Er kann nicht anders, er muss diese Rolle einnehmen, weil alle anderen so begeistert sind. Es muss offenbar die widerstrebende Kraft geben – überall. Okay.
Unser Prototyp, der selbstverständlich von unserem Ego losgelöst ist, dient als Mittel, um den Projektbeteiligten, die im Widerstand sind, ihre Bedenken zu entlocken. Und zu transformieren. Dieselbe Empathie, die wir NutzerInnen entgegen bringen, wenn wir sie unseren Prototypen testen lassen, bringen wir auch den Widerspenstigen entgegen. Wir holen sie ab, wir fragen sie, wie sie es machen würden, was ihnen fehlt und wir notieren es brav, nicken dabei verständlich mit dem Kopf.
Ob wir nun alle Vorschläge einbauen werden, mal sehen. Aber wir sollten irgendwas davon einbauen, damit der widerspenstige Mensch sich gesehen fühlt und mit uns kooperiert. Das ist für den Projekterfolg enorm wichtig und beschleunigt ungemein.
Natürlich! Es heißt nicht, dass ihr es so machen sollt wie gesagt. Nein. Ihr sollt Meister in der Balance werden aus Anforderungen, Wünschen, Feedback, Machbarkeit, Realität. All diese herrlichen Fäden haltet ihr als UX Designer in euren talentierten Händen. Und aus diesen Fäden macht ihr ein digitales Produkt.
Grund Nummer 5: Ein Prototyp zwingt zu Entscheidungen
Projekte ziehen sich sehr gern einfach deswegen, weil etwas ewig nicht entschieden wird. Und dass etwas nicht entschieden wird, liegt nicht immer an der Schwere oder den untragbaren Konsequenzen der Entscheidung, sondern schlicht daran, dass jemand gar nicht genau weiß, was wie entschieden werden soll. Beispielsweise aus mangelnder Fachkenntnis. Und damit meine ich gar nicht die Umsetzenden, sondern die Auftraggeber. Häufig sollen sie ja ein digitales Projekt ins Rollen bringen und sind dafür verantwortlich, aber es fehlt ihnen das Wissen.
Ein Prototyp macht die ganze Sache vorstellbar und Szenarien, die entschieden werden sollen, können vom UX Design Team prototypisiert und gegenüber gestellt werden. Das mache ich sehr gern selbst, wenn ich sehe, dass jemand nicht genau versteht, wovon wir (Fachleute) eigentlich reden.
Ich habe häufig erlebt, dass die Verantwortlichen sehr dankbar und erleichtert sind, wenn sie eine ausgearbeitete Entscheidungsvorlage, sprich Alternativen haben, an denen sie nachvollziehen können, welche Lösung sich als bessere erweist.
Grund Nummer 6: Ein Prototyp fokussiert
Üblicherweise arbeitete man in einem digitalen Prototypen das aus, was den Kernnutzten der zukünftigen Applikation ausmacht. Also die Features, ohne die die App überhaupt keinen Sinn machen würde. Also etwa das Taxi-Bestellen in einer Taxi-App. Oder die bequeme Ansicht von Rezepten in einer Koch-App. Oder das einfache Anlegen, Erledigen, Organisieren und Löschen von Aufgaben in einer ToDo-App oder einer Projektmanagement-App.
Für euren Prototypen heißt es: Fangt beim Kernnutzen an, arbeitet ihn heraus, macht ihn benutzbar und dann erst weitet euch über die anderen, nice-to-have Features aus. Mit diesem Ansatz ergeben sich mehrere, wirklich sinnhafte Vorteile:
- Das Kernfeature habt ihr eingetütet. Alle wissen Bescheid, es ist da, es ist klar. Es kann nicht mehr vergessen werden.
- Es definiert den kleinsten Umfang für die Umsetzung der App. Damit beeinflusst es Budget und Zeit.
- Es ist euer POC. Euer Proof-Of-Concept. Aus dem POC kann nach Programmierung das MVP, das Minimum Viable Product, werden. Ohne POC kein MVP. Ihr setzt also mit dem Prototyp den ersten Meilenstein in ein reales Produkt.
Grund Nummer 7: Ein Prototyp macht Spaß
Vielleicht sind wir im Projekt die Einzigen, die wirklich was tun dürfen und bei denen Aktionismus erlaubt ist. Wir UX Designer dürfen schon bauen bevor es überhaupt vollständig definiert ist. Wir dürfen schon klicken, während alle anderen noch gar nicht wissen, worum es gehen wird. Ist das nicht herrlich?
Ich liebe es.

Fette Software-Konzeption ist nicht euer Steckenpferd?
Kein Problem – Als UX Experte & Product Designer kümmere ich mich um die Produktvision
und die Ausrichtung der Projektbeteiligten auf ein Ziel. Um die Anforderungen, den
Content und die Absprache mit den Entwicklern. Wie all das gehen soll?
